„Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt.“ Angeblich soll Martin Luther diesen Satz gesagt haben. Bis jedoch die Gottesliebe in Kindern gesehen wurde, hat es lange Zeit gebraucht.
Zwar galten Kinder immer schon als Segen Gottes – und das Ausbleiben von Kindern gar als Fluch (1. Mose 30,1) – aber streng genommen haben Kinder in der Zeit vor etwa 4000 Jahren nur wenig eigene Betrachtung gefunden. So war das Wort für „Kinder“ sogar austauschbar mit „Sklave“. Wichtig war ausschließlich, dass es in einer Familie einen männlichen Nachkommen gab, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Um dieses „Ziel“ zu erreichen, war es durchaus üblich, dass eine unfruchtbare Frau ihrem Mann eine Sklavin zuteilen ließ, damit ein Nachkomme gezeugt werden könnte. Wir kennen ein Beispiel aus der Abrahamserzählung, in der Sara zunächst die Magd Hagar ihrem Mann beiwohnen lässt, weil die Erfüllung der Gottes Verheißung zunächst ausbleibt.
So manche alte Überlieferung, die wir in biblischen Geschichten finden, machen uns Geschichten fremd: So auch beispielsweise bei der sogenannten „Bindung“ oder „Opferung“ Isaaks. Abraham hat den verheißenen Sohn bekommen und bekommt von Gott den Auftrag, diesen seinen Sohn zu opfern. Abraham bereitet daraufhin alles vor, doch ehe es zur schrecklichen Tat kommt, schreitet Gott ein, lässt ihn einen Widder opfern und rechnet ihm seine Treue hoch an.
Für alle, die wir diese Geschichte hören und besonders für die Eltern unter uns, ist das unvorstellbar. Vermutlich sind hier Motive der Menschenopfer, die zu damaligen Zeiten durchaus noch praktiziert wurden, mit eingeflossen, die durch diese Geschichte seitens Gottes abgelehnt werden.
Das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern war durch das Gebot, die Eltern zu ehren (2. Mose 20,12) bestimmt. Aufsässige Söhne, die dagegen verstießen, konnten sogar gesteinigt werden. Dagegen stand jedoch die Vorschrift, Kinder nicht so zu strafen, dass sie zu Schaden kommen.
Die Kindheit oder Jugend als eigene Alters- oder Entwicklungsstufen sind der Bibel nicht geläufig; generell sind die meisten Schriften auf die erwachsenen Männer zentriert.
Daher verwundert es nicht, dass die Jünger Jesu zunächst auch die Kinder wegschicken, als Jesus in die Stadt kommt und die Botschaft Gottes verkündigt (Markus 10,13-16). Die Erwachsenen sollten nicht gestört werden. Allerdings haben sie die Rechnung ohne Jesus gemacht: „14Als Jesus das merkte, wurde er zornig und sagte zu ihnen: »Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran. Denn für Menschen wie sie ist das Reich Gottes da.15Amen, das sage ich euch: Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen.« (Übersetzung aus der Basisbibel).
Auf diesen Satz folgt die Kindersegnung als sichtbares Zeichen für die grenzüberschreitende Liebe Gottes, die sich nicht auf mündige Erwachsene beschränkt, sondern ein Geschenk für alle Menschen ist, unabhängig des Alters, des Geschlechtes oder der Hautfarbe. Diese Zusage ist unser Grund, auch Kinder zu taufen, selbst wenn es in der Geschichte nicht explizit um die Taufe geht. Inhaltlich ist die generelle „Gotteskindschaft“ der Gläubigen, die uns unverbrüchlich mit hineinnimmt in das Heilsgeschehen Gottes, so zentral, dass wir in unserer Kirche auch unabhängig der eigenen Sprachfähigkeit taufen und so diesen Geschenkcharakter besonders herausheben.
Gottes Kind bleibt man damit ein Leben lang, unabhängig vom Alter. Wie in einer Familie ist es ein Sprachbild für die engste Verwandtschaft, die man sich vorstellen kann, für eine Bindung, die man höchstens leugnen, nie aber ablegen kann. Gotteskinder sind „Erbe des Heils“ (Gal 4,7) und „Miterbe Christi“ (Röm 8,17) – die Vollendung der Kindschaft, also quasi das Erwachsenwerden steht noch aus. Gleichzeitig haben wir damit das Versprechen auf eine Vollendung, die sich (gemäß dem 1. Johannesbrief 3) allen am Jüngsten Tag zeigen wird.
Michael Waschhof