Liebe Gemeinde,

mit den Kindern kamen viele Dinge ins Haus: Eine gewisse Grundlautstärke, viel Lachen und manche Sorge mehr als vorher. Spielzeug, das sich in den Kisten sammelt und Bilder, die man gar nicht alle an die Wände hängen kann. Ganz besonders aber: Kinderbücher. Zum Lesen lernen, als Vorlesebücher oder Malbücher.

Eines der Bücher, die wir abends vorlasen war das Buch „Klaus Fledermaus“. Es handelt von einem kleinen Fledermausjungen, der in seiner Kindergartengruppe der Tiere nicht richtig dazugehört. Wenn die Gruppe einen Ausflug macht, und sie sich in Zweiergruppen aufstellen und losmarschieren, singen sie dabei sogar: „Zwei und Zwei und was Halbes dabei.“

Im Wald entdecken die Tierkinder viele Dinge, die ihnen Angst machen. Oft ist es aber nur Klaus Fledermaus, der in seinem Spiel die anderen ängstigte. Dann heißt es: „Das ist doch nur Klaus Fledermaus – und der zählt nicht.“

Am Ende ist es aber der kleine Fledermausjunge, der sich einer echten Gefahr mutig gegenüberstellt. Dadurch ändern die anderen ihre Meinung und nun heißt es: „Zwei und Zwei und Klaus Fledermaus.“ Die kleine Fledermaus ist nun nichts „Halbes“ mehr, sondern wie die anderen ein Tier der Kindergartengruppe. Sein Name wird besungen, er ist nicht mehr namenlos als Anhängsel dabei.

Natürlich haben wir in der Familie darüber gesprochen, dass es nicht richtig ist, wenn jemand zu kurz kommt oder sogar gemobbt wird. Auch, dass die Erwachsene „Miss Muh“, die die Gruppe leitet, sich nicht vorbildlich verhält.

Trotzdem ist es Alltag, dass manche Menschen nicht für voll genommen werden oder nichts zählen. So auch schon in der Bibel in der Geschichte von Davids Berufung. David wird so wenig für voll genommen, dass ihn sein Vater sozusagen vergisst. Samuel muss sogar nachfragen, ob es da nicht noch einen Sohn gibt.

In der Übersetzung der Basisbibel heißt es in 1. Samuel 16:

Der Herr sprach zu Samuel: » […] Ich schicke dich zu Isai nach Betlehem. Unter seinen Söhnen habe ich einen gesehen, den ich als König haben will. […] Du sollst mir den zum König salben, den ich dir nennen werde.« 4Samuel tat, was der Herr ihm aufgetragen hatte. Als er in Betlehem eintraf, kamen ihm die Ältesten der Stadt aufgeregt entgegen. Sie fragten: »Bedeutet dein Kommen etwas Gutes?« 5Er antwortete: »Ja, etwas Gutes! Ich will dem Herrn ein Schlachtopfer darbringen. Bereitet euch vor, heilig vor Gott zu treten! Dann kommt und feiert mit mir!« Samuel lud auch Isai und seine Söhne zum Opfer ein und sorgte dafür, dass sie heilig vor Gott traten.

6Als sie kamen, sah Samuel den Eliab und dachte: »Ja, das ist er! Vor dem Herrn steht sein Gesalbter!« 7Doch der Herr sagte zu Samuel: »Sieh nicht auf sein Aussehen und seine große Gestalt! Ich habe ihn nicht in Betracht gezogen. Denn bei mir zählt nicht, was ein Mensch sieht. Der Mensch sieht nur auf das Äußere, der Herr aber sieht auf das Herz.« 8Nun rief Isai den Abinadab und ließ ihn an Samuel vorbeigehen. Doch der schüttelte den Kopf: »Auch den hat der Herr nicht erwählt.« 9Dann ließ Isai den Schima vorbeigehen. Wieder schüttelte er den Kopf: »Auch den hat der Herr nicht erwählt.«  10So ließ Isai sieben seiner Söhne an Samuel vorbeigehen. Aber Samuel schüttelte jedes Mal den Kopf: »Keinen von ihnen hat der Herr erwählt.«

11Daraufhin fragte Samuel bei Isai nach: »Sind das jetzt alle deine Söhne?« Er antwortete: »Es fehlt noch der jüngste, der hütet gerade die Schafe.« »Schick einen, der ihn holt!«, sagte Samuel zu Isai. »Wir wollen uns nicht vorher um den Tisch setzen, bis er hierhergekommen ist.« 12Also lief einer hin und brachte ihn her. Er hatte helle Haut, schöne Augen und sah gut aus. Der Herr sprach: »Das ist er! Auf, salbe ihn zum König!« 13Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte ihn mitten unter seinen Brüdern. Da kam der Geist des Herrn zu David, an diesem Tag und auch in Zukunft.

Warum dieser Text nun gerade zu dem Thema „Gleichheit“. Geht es dort nicht gerade darum, dass nicht alle gleich sind? Dass die einen stark oder groß oder schön sind? Und wird David, obwohl er erst wegen seines Alters nicht für voll genommen wird, nicht auch als hübsch beschrieben?

Ja und nein. Denn Gleichheit bedeutet nicht, dass es nicht Unterschiede zwischen Menschen gäbe. Gottes Welt ist bunt und die Unterschiede und Einmaligkeiten zwischen uns sind nicht zu leugnen. Nur kann man aus Äußerlichkeiten nichts ableiten. Selbst der bedeutende und weise Samuel ist nicht davor gefeit, den großen starken Erstgeborenen für einen möglichen würdigen König zu halten.

Auch heute gehen wir mit Vorurteilen behaftet durchs Leben. Es ist so, dass schöne Menschen oft für intelligenter gehalten werden oder dass die Hautfarbe oder der Straßenzug, in dem ich aufwachse, mein Leben prägen. Positiv wie negativ.

Diese Ungleichheiten sind allerdings durch nichts zu rechtfertigen. In der Geschichte von David ist es Gott, der erwählt und den Satz prägt: „Bei mir zählt nicht, was der Mensch sieht. Der Herr sieht ins Herz.“ Gott kann den kleinen David im Kampf gegen Goliath bestehen lassen und der kleine Klaus Fledermaus rettet seine Gruppe vor dem Ungeheuer und kommt ganz groß raus.

Das kann nur klappen, wenn empfundene Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten nicht zur Blockade führen, wenn wir einander nicht behindern. Daran erinnert mich Gott in so vielen Geschichten, die davon handeln, Grenzen im Kopf zu überschreiten und sich für diejenigen einzusetzen, die all zu oft zu kurz kommen und deren Rechte beschnitten werden. In Samuel äußerte sich Gott direkt zugunsten Davids. Jesus geht auf die zu, die sonst übersehen werden und wendet sich an die, die nichts zählen. Wo kann heute unser Platz als Gemeinde, als Wengeraner und Esborner sein? Für wen treten wir ein? Oder wen übersehe ich?

Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt, „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. […] Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend.“ (aus: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 560f.) Dies sehe ich daher als Aufgabe an: Die lebendige Kirche im Dorf zu leben, Ungerechtigkeiten zu benennen und anzugehen und mit Gottesdienst und offenen Augen für den Nächsten Sorge zu tragen. Das ist Kirche mit Zukunft, fern ab von Strukturdebatten und Sorgen und Finanzen.

Bleiben Sie behütet!

Ihr Michael Waschhof